Donnerstag, 28. Juni 2012


Breivik News Montag, 25.06.2012 aus Oslo

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Breivik-Prozess

Rechtsstaat und gefühlte Gerechtigkeit 

von

                                                                                  

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Im Zweifel unzurechnungsfähig

Im Breivik-Prozess entlädt sich das ganze Spannungsfeld zwischen Rechtsstaat und 
gefühlter Gerechtigkeit. 

Wie soll ein Gericht entscheiden, wenn Zweifel an 
der Schuldfähigkeit des Angeklagten bestehen?

Unbeteiligt, fast reglos sitzt er da. 

Ohne jegliche Empathie schlürft er einen Kaffee, als stehe er in einer unglaublich langweiligen Verwaltungssache vor Gericht und brauche Koffein, 
um sich wach zu halten. 

Tatsächlich jedoch geht es um 77-fachen Massenmord. 

Es geht um die Frage, ob sich Anders Behring Breivik 
für die blutigsten Anschläge in der Geschichte Norwegens verantworten muss.

Nach einer Umfrage haben drei Viertel der 
norwegischen Bevölkerung ihr Urteil bereits gefällt: 

Breivik muss ins Gefängnis. 

Die Staatsanwälte Inga Bejer Engh und 
Svein Holden sehen das anders. 

Oder vielmehr: 

Sie müssen das anders sehen. 

Sie sind unabhängige Organe der Rechtspflege 
und haben zu beantragen, Breivik in die 
Psychiatrie einzuweisen, wenn Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten bestehen. 

Eine Errungenschaft in der Entwicklung des 
modernen Rechtsstaaats ist das Prinzip
„Im Zweifel für den Angeklagten“. 

Selbst für den kaltblütigsten Täter muss dieses 
Prinzip angewendet werden.

Bildergalerie: Rechtsextreme Symbole im Wandel
 
  • Rechtsextreme Symbole im Wandel

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Die Anklage hat sich ihre Arbeit nicht leicht gemacht. 

In mehr als dreißig Prozesstagen hat sie versucht 
zu beweisen, dass sich Breivik für seine Taten voll verantworten muss. 

Staatsanwältin Engh sagte: 

„Das unbegreiflichste ist, wie der Angeklagte die 
Taten auf  Utøya beschreibt. 

Er ist völlig unbeteiligt, wenn er darüber redet, was 
er dort gemacht hat.“ 

Am Ende des Prozesses sind die Kläger mit ihrem 
Ziel gescheitert. 

Nun läuft alles darauf hinaus, dass sich Breivik 
nicht für seine Taten verantworten kann und in 
die geschlossene Psychiatrie eingewiesen wird.

Im Mittelpunkt standen neben dem Täter auch die Angehörigen der Todesopfer von Oslo  und Utøya. 

Wie stehen die Hinterbliebenen nun da? 

Hat der Prozess geholfen, den Schmerz über den 
Verlust zu lindern? 

Trond Blattmann, der Vater eines Opfers auf Utøya 
und mittlerweile Sprachrohr der Angehörigen, sagte: 

„Es war ein guter Prozess, um alles zu klären. 

Er war würdevoll in guter norwegischer Rechtstradition.“ 

Ihm sei es egal, ob Breivik in die Psychiatrie oder in 
die Haftanstalt müsse. 

 Hauptsache sei, dass die Gesellschaft für immer 
vor ihm geschützt werde.

Nun kann man sich auf diesen Standpunkt zurückziehen. 

Es mag auch verständlich sein, dass es den Angehörigen der Opfer nun auch darum geht, 
die Akte Breivik zu schließen. 

Und dennoch sollte man sich der Frage zuwenden, 
wie eine freie Gesellschaft mit Menschen umgeht, 
die grausam gemordet haben. 

Die aber wegen des Umstands, nicht schuldfähig 
zu sein, nicht bestraft werden, keinen Schuldspruch erfahren, keine Verantwortung übernehmen. 

Bemerkenswert ist die Aussage des Staatsanwalts Holden, nach „derzeitiger Gesetzeslage“ sei Breivik nicht straffähig. 

Aus diesem Statement liest man einen Ruf nach Änderung. Es möchte dieses hohle Bauchgefühl überwinden, das einen beschleicht, einen 
mutmaßlichen Massenmörder, ohne dass er sich 
für seine Taten verantworten muss, Psychiatern zu übergeben. 

Die Wortwahl „derzeitige Rechtslage“ drückt ein unbefriedigendes Ergebnis aus.

Wohin führt uns aber die schnelle Antwort? 

Zum „inneren Schweinehund“. 

Diesen Begriff nutzte bereits Kurt Schumacher (SPD) 
in einer Rede vor dem Reichstag 1932 gegen die 
NSDAP-Fraktion, der er vorwarf, genau an diesen inneren Schweinehund zu appellieren. 

Die niedrigsten Motive des Menschen anzusprechen. 

Ohne damals freilich ahnen zu können, welch verbrecherisches Regime sich schon kurze Zeit 
darauf bahnbrechen würde. 

Während in westlichen Rechtskreisen der Grundsatz „Keine Strafe ohne Schuld“ fest etabliert ist, wurde 
dies im NS-Unrecht durch das Prinzip 
„Keine Strafe ohne Verbrechen“ abgelöst. 

Auf die Schuldfähigkeit des Täters kam es nicht an, vielmehr darauf, das Individuum im Verfahren zu vernichten. 

Im NS-Staat stand am Ende immer ein Schuldspruch, wenn es darum ging, echte oder vermeintliche Verbrechen zu sühnen. 

Wer nun fordert, eine Person zu bestrafen, deren Schuldfähigkeit nicht zweifelsfrei festgestellt 
werden kann, begibt sich unweigerlich in die Nähe 
derer, die er eigentlich weit von sich wissen will.

Beim Blick zurück auf den Strafprozess gegen 
Breivik entlädt sich einmal mehr eklatant das 
gesamte Spannungsfeld zwischen rechtsstaatlicher Ordnung und dieser gefühlten Gerechtigkeit. 

Wenn man nun dem inneren Verlangen folgt, 
Breivik müsse doch für diese ungeheuerlichen Taten 
die Verantwortung übernehmen. 

Diese Taten dürften doch nicht ungesühnt bleiben. 

Dann lässt man dem von Schumacher 
angesprochenen inneren Schweinehund freien Lauf. 

Im Rechtsstaat gelten jedoch andere Prinzipien, 
deshalb musste zu Beginn des Breivik-Prozesses 
ein Schöffe ausgewechselt werden, weil er sich im 
Sommer 2011 dahingehend äußerte, dass die Todesstrafe die einzig in Betracht kommende Strafe 
für derartige Taten sei.

Dieser quälende Widerspruch zwischen den beiden Polen wird am Ende des Tages nicht aufzulösen sein. 

Jeder einzelne Bürger muss stets wieder den 
inneren Schweinehund bekämpfen, die vermeintlich schnelle Antwort hinterfragen. 

Mal fällt es leichter, mal kommt man über diesen Widerspruch kaum hinweg. 

Breivik möchte notfalls die Haftstrafe antreten, als nationalistischer „Freiheitskämpfer“ mit gesunder Psyche. 

Auch dieses Verlangen spielt keine Rolle, wenn es 
um die Frage der Zurechnungsfähigkeit geht. 

Im Zweifel ist er unzurechnungsfähig.













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