Piraten News Samstag, 02.06.2012
Piratenpartei
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Mitglieder der Piratenpartei Großbritanniens
Seit Beginn des Jahres hat die Piratenpartei Großbritanniens ein
erstaunliches Wachstum
hingelegt.
Sie hat sich innerhalb von gut 4
Monaten von
238 auf 506 Mitglieder mehr als verdoppelt.
Verstärkt hat sich der Wachstumstrend noch
einmal Anfang Mai, als die
Piraten in Manchester
überraschend gute Wahlergebnisse erzielten
(Piratenstatistiken berichtete), dort erreichte
unter anderem Laurence Kaye, Vorsitzender der
Pirate Party UK mit 5,2% einen beachtlichen Anerkennungserfolg.
Zeitgleich hat auch die gerichtliche Anordnung, aufgrund derer die schwedische Seite
Zeitgleich hat auch die gerichtliche Anordnung, aufgrund derer die schwedische Seite
“The Pirate Bay” in Großbritannien zensiert wird,
für großes Aufsehen gesorgt.
Medien berichten, dass seit dem die Homepage
der britischen Piraten einen regelrechten Besucheransturm verzeichnet.
Datenquelle:
Schatzmeister der PP UK, Gavin Meredith
(bisher unveröffentlicht)
Siehe auch: Pirat in Großbritannien erstmals über 5%
Veröffentlicht unter International, Mitglied
Piratenpartei Thüringen via Kreisverband der Piraten Gotha gelesen um 18:15
Link:
Das Phänomen Piratenpartei ist von aussen schwer
zu verstehen.
Während die Grünen sich aus der Umweltschutz-,
der Frauen- und der
Friedensbewegung heraus
gebildet haben und diese Themen von Anfang an
klar und verständlich waren, sind die Piraten
schwerer fassbar.
Sie
schaffen es selber noch nicht, ihre
Kernbotschaften verständlich auf den
Punkt zu bringen.
Selbst das Lesen der Parteiprogramme lässt
jemanden,
der die Kernanliegen nicht teilt,
recht ratlos zurück, weil es auf ihn
wie ein zusammenhangsloses Sammelsurium von
Vorschlägen wirkt.
Geht es
um Interessenvertretung für
Gratis-Downloader und Gamer?
Geht es um
Transparenz und Demokratie?
Geht es um einen populistischen Protest
gegen
das Establishment?
Es kann sein, dass die Piratenpartei Deutschland
in diesen Bereichen
gewisse Wähler abholt, weil
die anderen Parteien so sträflich bürgerfern
geworden sind.
Die Piratenpartei lebt aber nicht in erster Linie
von den Wählern, sondern von den Aktiven, den Engagierten.
Die Frage soll
deshalb lauten:
Was bringt so viele (vormals vermeintlich
politikverdrossene) Menschen dazu, so viel Zeit
und Energie in das
Projekt Piratenpartei zu stecken?
Woraus schöpfen sie ihre Motivation?
Wieso können sie es nicht in einer anderen Partei
oder in einem
Interessenverband tun?
Und wieso können sie es nicht
allgemeinverständlich erklären?
Hier kommt die Antwort:
Weil sie, wie die Grünen damals, neue
Kernideen
haben, in der sie allen anderenParteien fundamental widersprechen.
Diese Kernideen haben zwar nicht so
prägnante Bezeichnungen wie “Frieden” oder “Umweltschutz”.
Das bedeutet
aber nicht, dass sie weniger
bedeutend wären für die Menschheit.
Es geht
hier nicht um ein «Nischenthema»
Internet.
Es geht um zentrale
gesellschaftliche Fragen.
So zentral, dass sie für einen wachsenden Teil
der Bevölkerung wichtiger werden als liberale, sozialdemokratische oder
grüne Anliegen.
Piraten wurden im Internet sozialisiert.
Dies führt zu
einem so anderen Kultur- und Gesellschaftsverständnis, dass sie oft die
anderen Parteien nicht mehr verstehen.
Darum können sich viele Piraten
auch gar nicht vorstellen, sich in einer anderen Partei zu
engagieren.
Die Verständnislosigkeit ist also gegenseitig.
Was für Piraten
selbstverständlich ist, ist
für Aussenstehende gänzlich unbekannt.
Zu
erkennen, wo genau diese Bruchlinien liegen,
ist für beide Seiten
genauso schwierig
festzumachen, aber unabdingbar für eine
gelingende
Kommunikation.
Hier ist der Versuch, die drei wichtigsten
Botschaften der Piraten herauszuschälen
und auf den Punkt zu bringen:
1. Plattformneutralität
Die Forderung, dass im Internet jedes Datenpaket
gleich behandelt wird, egal woher es kommt, wohin
es geht, und was es enthält.
Es gibt keine Überholspur für Privilegierte und
keine Diskriminierung von «unwichtigen», «unerwünschten» oder «unprofitablen» Daten –
wer immer das dann bestimmen könnte.
Die Piraten haben erkannt, welche freiheitliche, demokratische Kraft
die Einhaltung dieses
Prinzips freisetzt, und wie es Wissen, Ideen und
Kultur, und damit die Menschen, zur Entfaltung bringt. Deshalb weiten
sie dieses Prinzip auf
jegliche öffentliche Institutionen
aus:
Infrastrukturen, die Zugang und Teilhabe
ermöglichen, müssen
gestärkt und ausgebaut
werden und gehören diskriminierungs-,
überwachungs- und barrierefrei
(bzw. so niederschwellig wie möglich)
allen angeboten.
Und mit «alle» sind auch wirklich alle Menschen
gemeint
– bedingungslos.
Während die anderen Parteien die
Informationsfreiheit
hier und da beschränken,
wollen die Piraten dieses Grundrecht nicht nur
verteidigen, sondern zum Leitgedanken jeglicher
Politik machen.
Wenn Piraten also «fahrscheinlosen öffentlichen Personennahverkehr»,
Ausländerstimmrecht und Wahlalter 0, freie Lehrmittel oder einen
laizistischen Staat fordern, dann hat dies alles mit dieser Idee zu
tun,
allen Menschen eine neutrale Plattform zur Verfügung zu stellen.
(Michael Seemann hat das noch
2. Versöhnung mit dem Effizienzgewinn
Informatiker und Ingenieure befinden sich in einem moralischen
Konflikt: Sie entwickeln Maschinen,
die menschliche Arbeit überflüssig,
also Menschen arbeitslos macht.
Arbeitslosigkeit gilt in allen
etablierten Parteien als
eines der grossen Probleme, das auf jeden Fall
bekämpft werden muss.
Also sagt man der Effizienzsteigerung den Kampf
an.
Längst nicht mehr nur in der Landwirtschaft subventioniert man die
Erhaltung ineffizienter Strukturen.
Auch die Industrie ist voll davon
erfasst worden.
Der Erhalt des «Werkplatzes Schweiz» und seiner
Arbeitsplätze wird von der Politik gerade zur Staatsaufgabe erklärt.
Firmen, die ihre Effizienz steigern und dadurch
Stellen streichen, wird
der Vorwurf gemacht, sie
würden ihre Verantwortung nicht wahrnehmen.
Arbeit wird zur Beschäftigungstherapie.
Technikfeindlichkeit und
Fortschrittspessimismus nehmen Überhand.
Die Piraten können diese Sichtweisen nicht teilen.
Sie streben eine
Versöhnung der Gesellschaft mit
dem Effizienzgewinn an.
Der moralische
Konflikt lässt sich auflösen, wenn
die ganze Gesellschaft an den
Fortschritten
teilhaben kann.
Die Wirtschaft soll die Aufgabe erhalten,
die
Menschen von der Arbeit möglichst zu befreien.
Und der Staat, also
die Allgemeinheit, soll dafür
sorgen, dass Menschen ohne Erwerbsarbeit
trotzdem auf ihre Rechnung kommen, und nicht marginalisiert
und mit
Brosamen abgespeist werden.
Dies bedeutet die radikale Abkehr von der
protestantischen Arbeitsmoral, die bis heute in
den Schweizer Köpfen
steckt.
Diese war erfolgreich im Industriezeitalter, aber
im
Informationszeitalter steht sie im Weg.
Die Volkswirtschaft benötigt
Effizienz, nicht Vollbeschäftigung.
3. Emanzipation durch Selbstbestimmung
Mit beiden Ideen wird versucht, Emanzipation zu erzwingen.
Auch diese Idee ist im ganzen Politspektrum weit verbreitet. Gut kann man das bei der Argumentation gegen das bedingungslose Grundeinkommen beobachten:
Links wie rechts behaupten, ohne Zwang zur
Arbeit würden die Menschen lethargisch und
würden sich selbst aufgeben.
Feministinnen haben Angst, Frauen würden dann
umso mehr die unbezahlte Care-Arbeit machen, Nationalisten haben Angst, jugendliche Ausländer würden nur noch herumhängen, und Sozialarbeiter
und Gewerkschafter haben Angst, sie würden ihre
Macht verlieren in der Emanzipationsindustrie.
Emanzipation durch von oben verordneten Arbeitszwang, das ist ihr Rezept.
Piraten haben die Erfahrung gemacht, dass ganz
ohne Zwang so
grossartige Dinge wie Linux oder
die Wikipedia entstehen.
In der
Piratenpartei sind die Nerds und
Aussenseiter daran, sich selbst zu
emanzipieren.
Nicht, indem sie sich den Regeln unterwerfen und
sich in
der gesellschaftlichen Hierarchie nach
oben arbeiten.
Piraten denken
nicht in Hierarchien,
sondern in Netzwerken.
Sie emanzipieren sich,
indem sie sich ein eigenes, tragfähiges Netzwerk bauen.
Indem die das
machen, was sie für richtig halten,
und nicht das, was von ihnen
erwartet wird.
Diese Emanzipation braucht keinen Zwang, keine Verbote
und höchstens rudimentäre Regeln.
Diese Emanzipation braucht Freiheit,
Zugang zu
Wissen, Möglichkeiten zur Teilhabe und Schutzräume durch
Anonymität, als Dünger für einen Prozess,
der von innen reift.
Piraten
wissen, dass Gras nicht schneller wächst,
wenn man daran zieht.
Wenn Piraten also für ein Grundeinkommen und
gegen einen Mindestlohn,
für Sterbehilfe und Drogenlegalisierungs, für freie Ladenöffnungszeiten
und gegen Videoüberwachung sind, dann hat dies
damit zu tun, dass
Piraten den Menschen das
Vertrauen schenken, dass sie in der Regel
selbstbestimmt über ihre Arbeits-, Beziehungs-,
Lebens- und
Sterbensverhältnisse
entscheiden können.
Fazit
Die Piratenpartei ist viel mehr als ein Konglomerat
von Populisten,
Dilettanten und Wutbürgern.
Auch wenn die drei hier umrissenen
Botschaften vielleicht nur ein persönlich gefärbter Ausschnitt
sind, so
ist für mich unbestritten:
Die Piraten haben ihre eigene, fundamental
andere
Sicht auf die Welt.
Das ist ihr Antrieb, das ist ihre Kraft.
Bloss wissen sie es allzu oft nicht in Worte zu
fassen, und lassen die
Menschen darum fragend
bis ratlos zurück.
Es ist aber bloss eine Frage
der Zeit, bis das
passende Vokabular gefunden wurde, das eine
Kommunikation ermöglicht.
Die Piratenpartei ist gekommen um zu bleiben,
und sie wird die Politik verändern.
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