Breivik Prozess
Prozesstag 23 in Oslo.21.05.2012
Hussein Kazemi (20) überlebte das Massaker auf Utøya
„Ich sah Breivik in die Augen.
Seine Stimme war ganz sanft“
In Handschellen wird Massenmörder Anders Behring Breivik (33) in den Gerichtssaal
geführt
Foto: dpa
Von KAI FELDHAUS (z.Zt. in Oslo)
Bevor er noch einmal durch die Hölle gehen
muss, klatscht Hussein
Kazemi (20) mit seinen
Freunden ab.
Ich lebe, sagt diese Geste, ich habe
gewonnen,
und der feiste Mistkerl auf der Anklagebank da
hinten hat
verloren.
Dann setzt sich Hussein auf den Zeugenstuhl
und erzählt von
Utøya.
Oslo -
Es ist sie sechste Woche im Prozess gegen
Amokläufer Anders
Behring Breivik (33), der in
Oslo eine Bombe zündete und auf der
norwegischen Ferieninsel 69 Jugendliche
erschoss.
Es ist die Woche der
Überlebenden, sie erzählen,
wie sie Breivik entkamen.
Wie Hussein
Kazemi, der den Amokläufer
sah und mit ihm sprach und der nur noch lebt,
weil Breivik nachladen musste.
am Kinn, die Haare modisch zur Seite gekämmt.
Er ist ein Flüchtling, seit drei Jahren in Norwegen,
schon in Afghanistan hat er viel Schlimmes gesehen.
Als er von der Bombe in Oslo hörte, an diesem
22. Juli 2011, da rief er seinen Bruder an:
Ob denn alles okay sei?
Wir sind Afghanen, beruhigte
der Bruder, wo wir herkommen, da passiert so etwas jeden Tag.
Dann, sagt
Hussein, fielen plötzlich Schüsse,
ganz in seiner Nähe. Peng. Peng.
Peng. Peng.
„Und dann lief ich um mein Leben.“
Raus aus dem Café, hinein
in den Wald, er merkte
gar nicht, dass er getroffen war, wie stark er
blutete.
„Ich wusste gar nicht, wovor ich eigentlich weg lief“,
sagt Hussein.
„Die anderen Jugendlichen traute ich mich nicht
zu
fragen.“
Bis plötzlich am Ufer dieser Mann in Polizeiuniform
vor ihm
stand.
„Der Täter“, sagt Hussein im Zeugenstand,
er nennt Breiviks Namen nicht, sieht ihn nicht an.
„Der Täter“, sagt Hussein im Zeugenstand,
er nennt Breiviks Namen nicht, sieht ihn nicht an.
Der Killer sprach den Jungen an.
„Seine Stimme war ganz sanft, fast freundlich",
erinnert sich Hussein.
„Er fragte:
Habt ihr den
Mann gesehen, der hier schießt?
Ich sah ihm in die Augen.
Er lud gerade
seine Maschinenpistole nach.“
Da verstand er.
Hussein warf sich ins Wasser.
„Dabei kann ich gar nicht schwimmen“,
sagt er
und macht das Geräusch der Projektile nach,
die neben ihm ins
Wasser peitschten.
Hussein rettete sich hinter einen Fels.
„Das Wasser
um mich herum war ganz rot.
Dann hörte ich die Hubschrauber.“
Die echte
Polizei.
Breivik hatte ihn in beide Beine und einen Fuß
geschossen.
Wie es ihm heute geht?
„Ich würde lügen, wenn ich sagen
würde: gut.
Aber ich lebe.“
Hanne Hestö Ness (20) ist schlechter dran.
Ein zierliches
blondes Mädchen, Narben an
Arm und Hals, die ihr Sommerkleid nicht
verhüllt.
„Ich weiß nicht, wie oft ich operiert werden musste“, sagt
Hanne.
„15 Mal vielleicht.“
Breivik schoss ihr in den Hals, das Projektil brach
ihr zwei Wirbel.
Hanne lag im künstlichen Koma, wurde beatmet,
man nahm ihr den kleinen
Finger ab.
Drei Monate nahm sie Morphium gegen die
Schmerzen.
Noch immer
habe sie Angstattacken, berichtet sie,
und ihre Hand könne sie
vielleicht nie wieder richtig bewegen.
Als man sie barg auf Utøya, da
habe es geregnet.
„Ich spürte die Tropfen in meinem Gesicht, das war
das
beste Gefühl meines Lebens.“
Im Zeugenstand folgt Marte Fevang Smith (18),
und es wird
unerträglich.
Die Stimme so zart, dass sie fast bricht, erzählt sie,
wie
sie die anderen sterben sah.
Sie lagen auf einem Haufen, um sich zu beschützen, Breivik feuerte in
aller Ruhe auf die Liegenden.
Marte schoss er in den Kopf, dann ging er
weiter.
„Ein Junge streckte eine Hand aus“, erinnert
sich das Mädchen.
„Er sagte:
,Ich sterbe.'
Ich wollte ihm helfen, aber ich konnte nicht.
Er lag halb auf mir und wurde plötzlich sehr,
sehr schwer.
Ich dachte
noch:
17 Jahre ist kein besonders langes Leben.“
Im Kopf sang sie
ein Kinderlied, wieder und
wieder, um nicht bewusstlos zu werden, um
nicht den Verstand zu verlieren.
Als die echte Polizei kam, traute sie
den
Beamten nicht.
„Töten Sie uns jetzt?“ fragte ein anderes Mädchen.
Die Beamten fuhren Marte zum Anleger hinab,
der Polizist sagte:
„Schau
lieber nicht aus dem Fenster.“
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