Freitag, 25. Mai 2012



Breivik Prozess    

Prozesstag 23 in Oslo.









21.05.2012    

Hussein Kazemi (20) überlebte das Massaker auf Utøya 

„Ich sah Breivik in die Augen. 

Seine Stimme war ganz sanft“

In Handschellen wird Massenmörder Anders Behring Breivik (33) am Montag in den Gerichtssaal geführt 




In Handschellen wird Massenmörder Anders Behring Breivik (33) in den Gerichtssaal
geführt



Foto: dpa

Von KAI FELDHAUS (z.Zt. in Oslo)

Bevor er noch einmal durch die Hölle gehen 
muss, klatscht Hussein Kazemi (20) mit seinen 
Freunden ab. 

Ich lebe, sagt diese Geste, ich habe gewonnen, 
und der feiste Mistkerl auf der Anklagebank da 
hinten hat verloren. 

Dann setzt sich Hussein auf den Zeugenstuhl 
und erzählt von Utøya.

Oslo -

Es ist sie sechste Woche im Prozess gegen 
Amokläufer Anders Behring Breivik (33), der in 
Oslo eine Bombe zündete und auf der 
norwegischen Ferieninsel 69 Jugendliche 
erschoss

Es ist die Woche der Überlebenden, sie erzählen, 
wie sie Breivik entkamen. 

Wie Hussein Kazemi, der den Amokläufer 
sah und mit ihm sprach und der nur noch lebt, 
weil Breivik nachladen musste.

Hussein ist ein junger Afghane, ein Bärtchen 
am Kinn, die Haare modisch zur Seite gekämmt. 

Er ist ein Flüchtling, seit drei Jahren in Norwegen, 
schon in Afghanistan hat er viel Schlimmes gesehen. 

Als er von der Bombe in Oslo hörte, an diesem 
22. Juli 2011, da rief er seinen Bruder an: 

Ob denn alles okay sei?

Wir sind Afghanen, beruhigte der Bruder, wo wir herkommen, da passiert so etwas jeden Tag. 

Dann, sagt Hussein, fielen plötzlich Schüsse
ganz in seiner Nähe. Peng. Peng. Peng. Peng. 

„Und dann lief ich um mein Leben.“ 

Raus aus dem Café, hinein in den Wald, er merkte 
gar nicht, dass er getroffen war, wie stark er blutete.

„Ich wusste gar nicht, wovor ich eigentlich weg lief“, 
sagt Hussein. 

„Die anderen Jugendlichen traute ich mich nicht 
zu fragen.“ 

Bis plötzlich am Ufer dieser Mann in Polizeiuniform 
vor ihm stand. 

„Der Täter“, sagt Hussein im Zeugenstand, 
er nennt Breiviks Namen nicht, sieht ihn nicht an.

Der Killer sprach den Jungen an. 

„Seine Stimme war ganz sanft, fast freundlich", 
erinnert sich Hussein. 

„Er fragte: 

Habt ihr den Mann gesehen, der hier schießt

Ich sah ihm in die Augen. 

Er lud gerade seine Maschinenpistole nach.“

Da verstand er.


Hussein warf sich ins Wasser. 

„Dabei kann ich gar nicht schwimmen“, sagt er 
und macht das Geräusch der Projektile nach, 
die neben ihm ins Wasser peitschten. 

Hussein rettete sich hinter einen Fels. 

„Das Wasser um mich herum war ganz rot. 

Dann hörte ich die Hubschrauber.“ 

Die echte Polizei.

Breivik hatte ihn in beide Beine und einen Fuß geschossen.

Wie es ihm heute geht? 

„Ich würde lügen, wenn ich sagen würde: gut. 

Aber ich lebe.“

Hanne Hestö Ness (20) ist schlechter dran. 
Ein zierliches blondes Mädchen, Narben an 
Arm und Hals, die ihr Sommerkleid nicht verhüllt. 

„Ich weiß nicht, wie oft ich operiert werden musste“, sagt Hanne. 

„15 Mal vielleicht.“ 

Breivik schoss ihr in den Hals, das Projektil brach 
ihr zwei Wirbel. 

Hanne lag im künstlichen Koma, wurde beatmet, 
man nahm ihr den kleinen Finger ab. 

Drei Monate nahm sie Morphium gegen die 
Schmerzen. 

Noch immer habe sie Angstattacken, berichtet sie, 
und ihre Hand könne sie vielleicht nie wieder richtig bewegen. 

Als man sie barg auf Utøya, da habe es geregnet. 

„Ich spürte die Tropfen in meinem Gesicht, das war 
das beste Gefühl meines Lebens.“

Im Zeugenstand folgt Marte Fevang Smith (18), 
und es wird unerträglich. 

Die Stimme so zart, dass sie fast bricht, erzählt sie, 
wie sie die anderen sterben sah.

Sie lagen auf einem Haufen, um sich zu beschützen, Breivik feuerte in aller Ruhe auf die Liegenden. 

Marte schoss er in den Kopf, dann ging er weiter. 

„Ein Junge streckte eine Hand aus“, erinnert 
sich das Mädchen. 

„Er sagte: 

,Ich sterbe.' 

Ich wollte ihm helfen, aber ich konnte nicht. 

Er lag halb auf mir und wurde plötzlich sehr, 
sehr schwer. 

Ich dachte noch: 

17 Jahre ist kein besonders langes Leben.“

Im Kopf sang sie ein Kinderlied, wieder und 
wieder, um nicht bewusstlos zu werden, um 
nicht den Verstand zu verlieren. 

Als die echte Polizei kam, traute sie den 
Beamten nicht. 

„Töten Sie uns jetzt?“ fragte ein anderes Mädchen. 

Die Beamten fuhren Marte zum Anleger hinab, 
der Polizist sagte:

„Schau lieber nicht aus dem Fenster.“

 







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